Winterwald – German

© 2012 Kehrer Verlag Heidelberg Berlin, © 2012 Christiane Stahl, ISBN 978-3-86828-241-2 Winterwald

Essay by Christiane Stahl (click here for my translation)

Kaum ein Durchkommen. Wie eine Wand baut sich unpassierbares Gestrüpp vor dem Betrachter auf. Wollte man sich einen Weg hindurch bahnen, müsste man schon größere Kräfte anwenden. Nur das Auge dringt vor in ein dahinter gelagertes Waldgebiet. Bäume, eine Wiese oder ein Teich werden im Hintergrund deutlich, manchmal scheint der von Abendsonne beleuchtete Himmel durch.

Es ist Winter, aber die Brombeersträucher tragen noch ihre Blätter und die stacheligen Äste haben noch nicht ihre Leuchtkraft verloren (Abb. #24, Titel). Das spätnachmittägliche Zwielicht reduziert die Farbigkeit auf zarte Nuancen von Grüngelb und Violett. Emanuel Raabs stille, fast monochrome Fotoarbeiten zeigen den Formenreichtum eines Naturraumes, der sich erst im winterlichen Erscheinungsbild offenbart. Die Reduktion der Darstellung verstärkt die Konzentration auf die ästhetische Konstruktion der Bildelemente, die bis zur Abstraktion geraten. Ein Gewirr aus wild wuchernden Ästen und Zweigen fügt sich zu einem Muster, das sich wie Haargeflecht oder Spinnweben über die dahinter liegende Waldlandschaft spannt. Die feingliedrigen Linien verbinden sich wie eine filigrane Zeichnung zur detailreichen Oberflächenstruktur, das Chaos fügt sich nach längerem Hinschauen zur Ordnung.

Durch die geringe Tiefenschärfe ist nur die zugewucherte Fläche scharf. Die dahinter liegende Ebene liegt im Verschwommenen. Immer wieder wird im Zentrum des Bildes ein kreis- oder ellipsenförmiger Durchblick auf die dahinter gelagerte unscharfe Bildebene gewährt (Abb. #15). Das Dahinter bleibt rätselhaft, der verschleierte Blick zeigt den Wald als undurchdringlichen Dschungel. Die Neugier ist angestachelt und gewährleistet, dass man länger im Gestrüpp verharrt. Die Fotografien sind nicht von großem Format, 45 × 60 cm inklusive eines großen weißen Rands, der das Dargestellte als Bildkonstrukt definiert. Das Bild, und nicht seine schiere Größe, muss es leisten, dass der Betrachter sich darin verliert.

Der Naturraum wird flächenhaft, die räumliche Dimension reduziert auf drei Ebenen. Der Bildauau aus Vorder-, Mittel- und Hintergrund blieb in der Landschaftsmalerei vom Spätmittelalter bis zur Romantik im Wesentlichen bestehen. In Reminiszenz an malerische Kompositionsweisen wirken einige Bilder wie die eines Malers, der sein Gemälde mit einem sehr weichen Pinsel leicht verwischt und darauf eine zweite Malschicht setzt mit der präzisen Darstellung von Unterholz, das sich wie ein Netz über den dahinter gelegenen Raum spannt und die Sicht in die Bildtiefe verstellt. Nicht von ungefähr druckt der Künstler die Aufnahmen auf Bütten- und nicht auf Fotopapier, denn es soll möglich bleiben, dass man auf den ersten Blick an Malerei denkt. Auch die Symmetrie der Kompositionselemente folgt dem klassischen Bildauau historischer Landschaftsmalerei. Der Ausschnitt ist streng gewählt, Millimeter entscheiden über den Ausdruck. Häufig sind die Bildelemente symmetrisch um ein solides Zentrum in der Bildmitte gruppiert, womit das Linienkonstrukt stabilisiert und der in sich geschlossene Charakter des Bildinhalts betont wird.